Auch wenn alle Menschen Fehler machen, darf dies nicht müssen sie dennoch für die Sicherheit am Arbeitsplatz verantwortlich sein. Auch wenn Fehler menschlich sind, darf dies nicht zu Lasten der Verantwortlichkeit eines jeden Einzelnen für die Sicherheit am Arbeitsplatz gehen. Wie kann Unternehmen dabei ein faires Gleichgewicht gelingen? Diese wichtige Frage zur Sicherheitskultur stellte SafeStart-Autor Larry Wilson den SafeConnection-Expertenpanels
Kontext zum Thema von Larry Wilson von SafeStart: „Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen. Wir alle machen Fehler – wir sind Menschen – also wollen wir Leute nicht für jedes Missgeschick verantwortlich machen. Aber wir wollen auch nicht in einer Welt leben, in der niemand für seine Sicherheit verantwortlich ist.“
Meinung der Experten: Um diese Herausforderung zu bewältigen, haben viele Unternehmen „lebensrettende“ oder „goldene“ Regeln mit einer Null-Toleranz-Komponente eingeführt. Haben sich die goldenen Regeln bewährt? Und wie kann diese Art von Null-Toleranz-Politik verbessert werden?
- Nicht nur mit strikten Vorgehensweisen: Durch „strikte Vorgehensweisen erreicht man zwar ein gutes, aber kein hohes Sicherheitsniveau“, so Ian Thorpe (Vice President, Health and Safety, HPCL Mittal Energy Limited) unter Hinweis auf das 4-Milliarden-Dollar-Projekt seines Unternehmens zum Bau einer Ölraffinerie in Indien: „Ein Null-Toleranz-Programm [im Hinblick auf lebensrettende Regeln] war damals notwendig – wir haben gute Ergebnisse erzielt und einen Rückgang der Verletzungen verzeichnet.“
- Der Weg zum Erfolg besteht darin, zu verstehen, warum ein Mitarbeiter gegen eine Regel verstoßen hat, wenn man eine Wiederholung in Zukunft verhindern will. Der erste Schritt besteht darin, alle menschlichen Fehler richtig zu kategorisieren:
- Man muss sie differenzieren: Wir unterteilen sie in „offen, verdeckt oder rein menschlich“, erläuterte David Bianco (Global SafeStart Program Manager, Epiroc).
- Oder war es ein absichtlicher Verstoß? „Ein Fehler ist eine unbeabsichtigte Abweichung von der Sicherheitspraxis“, erklärte Arun Subramanian (Senior Associate Vice President & Head – HSE, Coromandel International Limited). „Ein Verstoß wird vorsätzlich begangen. Hier müssen Sie die maßgeblichen Regeln heranziehen und ermitteln, ob es sich um einen routinemäßigen Verstoß, einen situationsbedingten Verstoß oder einen außergewöhnlichen Verstoß handelt.“
Ein wichtiger Hinweis Larry Wilson von SafeStart: „Ich denke, dass die Bedeutung des Warum ein wenig in Vergessenheit gerät oder weniger im Vordergrund steht als der Aspekt der Disziplin – die Leute wollen die Folgen kennen und sich über sie im Klaren sein im Gegensatz zum „Warum“ und sich das einprägen, wie z. B. das man auf keinen Fall zwischen Eisenbahnwaggons hindurchgehen darf, LOTO-Wartungssicherung und Zugang zu Bereichen mit Zugangsbeschränkung“, sagt Larry Wilson zum Thema Sicherheitspraktiken. „Bei all diesen lebensrettenden Maßnahmen ist das ‚Warum‘ wichtiger als die disziplinare Maßnahme, die dann folgt.“
Perspektivwechsel: Die Panels stimmten überein, dass schlechte Ergebnisse oft systemische Ursachen haben, was wiederum bedeutet, dass Entscheidungsträger etwas bewirken können. „Eine rationale, konsistente, faktenbasierte Entscheidung zu treffen, bringt Kohärenz in ein Unternehmen“, kommentierte Alex Carnevale (Präsident, Dynacast International):
- „Es ist nicht immer ein Fehler [des Arbeitnehmers]”, sagte Dr. Praveena Dorathi (Leiterin Umwelt, Gesundheit und Sicherheit, Arbeitsdynamik, Westasien, JLL). „Der Fehler liegt oft bei den Systemen.“
- „Es muss mehr Dialog stattfinden, um herauszufinden, was zu einem offenen oder verdeckten Verhalten führt“, sagte David Bianco. „Der Grund könnte ein Fehler im System sein, und wenn man nichts unternimmt, wiederholen sich diese Vorfälle aufgrund von Gleichgültigkeit und Gewohnheit.“
- Manchmal entsteht ein Systemfehler durch unklare Formulierungen: „Wir können goldene Regeln aufstellen, aber sind diese goldenen Regeln auch wirklich klar?“, fragte Peter Batrowny (Präsident & CEO, PB Global EHS, Inc.). Auf der Grundlage seiner Erfahrungen beim Militär erklärte er: „Man muss sich über die Erwartungen im Klaren sein. Darin sind Unternehmen nicht immer gut.“
Versteckte Regeln können eine weitere Quelle für Folgeverstöße sein:
- Peter Batrowny nennt das Beispiel von Arbeitern, die eine Maschinenstörung beheben, ohne das ordnungsgemäße LOTO-Verfahren (Lock Out, Tag Out-Wartungssicherung) zu befolgen, damit der Betrieb nicht unterbrochen wird. Oft kommt ein Arbeiter nicht nur ungeschoren davon, sondern wird sogar noch dafür gelobt, dass er ein Risiko eingeht. Unter Umständen wird die gesamte Schicht dafür gelobt, dass sie einen neuen Produktionsrekord erzielt hat! „Es wird zu einer Art informeller Belohnung“, erläuterte er, „aber wenn jemand [deswegen] verletzt wird, dann wird plötzlich von Schuld gesprochen, und genau diese Art von Inkonsequenz macht es schwer, fair zu sein.
- Auch SafeStart-Autor Larry Wilson stimmte dem zu und führte ein von ihm beobachtetes Beispiel für schlechte Sicherheitspraktiken in einem Sägewerk an: „Dort herrschte eine Null-Toleranz-Politik in Bezug auf das LOTO-Verfahren. Ich erinnere mich noch, dass der Vorgesetzte mich nur ansah und sagte:, Kann das nicht warten? Wir arbeiten gerade auf einen Rekordtag hin.“
- Alex Carnevale zieht die unvermeidliche Lehre aus solchen Situationen mit versteckten Regeln: „Wenn so etwas passiert und wir es als Führungskräfte nicht korrigieren, dann billigen wir dieses Verhalten. Wir erklären uns damit einverstanden, dass es wieder geschieht, egal ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.“
Sobald die Verantwortlichen nicht lediglich strikte Vorgehensweisen an den Tag legen, sondern ihre Systeme auf versteckte Regeln oder Unklarheiten hin überprüfen, liegt der Schwerpunkt zur Verringerung von Verletzungen auf der Vermittlung der grundlegenden Bedeutung von Sicherheitsregeln:
- „Man kann Leuten zwar die Regeln erklären, aber wenn jemand das „Warum“ wirklich versteht, dann wird es kohärent und konsistent”, sagt Alex Carnevale. Es muss Klarheit darüber herrschen, welche Erwartungen bestehen und warum.
- Das Unternehmen von Ian Thorpe hat eigenes Personal, regelmäßige Zeitarbeitnehmer sowie projektspezifiche Zeitarbeitnehmer: „Jede Kultur braucht eine andere Methode.“ Bei regelmäßigen Zeitarbeitnehmern sind eventuell eher strikte Vorgehensweisen erforderlich, aber „Positives zu belohnen ist viel besser. Durch Anreize und Belohnungen kann man bestimmen, was, gut‘ ist, und dies projektspezifischen Zeitarbeitnehmer zeigen, denn manchmal wissen sie es einfach nicht”.
- Arun Subramanian drückt es so aus: Sorgen Sie dafür, dass ihre Mitarbeiter sich so verhalten, wie es auch Ihre Zeitarbeitnehmer tun sollen: „Wenn Ihre eigenen Mitarbeiter die Verfahren nicht einhalten, können Sie das auch nicht von Zeitarbeitnehmern erwarten… Gehen Sie also zunächst in Ihrem Unternehmen mit einem guten Beispiel voran und sorgen Sie dann dafür, dass die Zeitarbeitnehmer diesem Beispiel folgen.“
Wie in so vielen anderen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft handelt es sich auch hier um eine Frage des Gleichgewichts:
- David Bianco führt dazu einen Aspekt der gesellschaftlichen Grundregeln an: „Es lässt sich so zusammenfassen: „Wenn Ihr das Richtige macht, machen wir es auch.“
- Der Aufbau von Vertrauen in allen Bereichen, von der Unternehmensleitung bis zu den Mitarbeitern in der Fertigung, bewirkt mit den Worten von Alex Carnevale, dass „die Menschen sich selbst, dem Unternehmen und den anderen gegenüber verantwortlich [sind]: Das ist ein echter Gewinn und führt letztendlich zu einem viel besseren Ergebnis“.
- Dies verdeutlicht die Verantwortung, die Führungskräften zukommt: Sie müssen sicherstellen, dass die Erwartungen klar sind, dass diese Erwartungen mit den Werten des Unternehmens übereinstimmen und dass funktionierende Feedbackkanäle und Messsysteme vorhanden sind.
- Wenn Konsistenz, Kohärenz und Kommunikation „stimmen, kann davon ausgegangen werden, dass auch die Verantwortlichkeit funktioniert“, erklärt Alex Carnevale.