Paradigmenwechsel 12: Die wahren Ursachen von Hektik und eine neue Perspektive auf Mitarbeiterengagement
Selbst bei guter Planung geraten wir im Alltag nur allzu leicht in Hektik. Die eigentlichen Ursachen dafür bleiben häufig unerkannt. Erfahren Sie, welche einfach anzuwendenden Methoden Fehlervermeidung, Arbeitseffizienz und Mitarbeiterengagement enorm unterstützen können.
Dies ist der finale Artikel der Paradigmenwechselreihe und ich freue mich sehr, dass Sie uns bis hierher als Leser treu geblieben sind. Zuletzt haben wir uns mit der Frage befasst, wie viele Fehler jeden Tag infolge von Hektik, Frustration, Müdigkeit und Selbstüberschätzung entstehen – letztere spielt dabei fast immer mittelbar oder unmittelbar eine Rolle. Abschließend wollen wir uns ansehen, wo die eigentlichen Ursachen von Hektik liegen und mit welchen Methoden wir das Mitarbeiterengagement bei der Vermeidung von Fehlern effizienter machen können.
Hektik verursacht Fehler
In früheren Teilen der Reihe haben wir uns damit befasst, wie unsere physischen und emotionalen Zustände sowohl einzeln als auch in Kombination zu fatalen Entscheidungen führen können. Stellen Sie sich vor, Sie liegen bei einem großen Auftrag hinter dem Zeitplan. Die Arbeiter sind in Eile und arbeiten schneller als normalerweise. Da ist es verlockend, manche Sicherheitsvorkehrungen, Sicherheitsregeln oder -protokolle – wie zum Beispiel die Durchführung einer Risiko-Analyse – auszulassen oder zu umgehen, um Zeit einzusparen. Ja, die Leute könnten die Technik des Self-Triggering auf ihre Eile anwenden. Sie könnten zurück in den Moment kommen und feststellen, dass ihre Entscheidungsfähigkeit in der Hektik beeinträchtigt ist. Aber wodurch entstand die Hektik überhaupt?
Man selbst plant schlecht oder macht einen Fehler und vergisst zum Beispiel ein dringend notwendiges Utensil, das man dann holen muss. Um den Zeitverlust aufzuholen, gerät man in Hektik und tut Dinge schneller als gewohnt.
Man muss den Fehler oder die schlechte Planung von jemand anderem ausbügeln und gerät dadurch selbst in Eile.
Äußere Umstände sorgen für Hektik, wie zum Beispiel ein Stau oder wenn die Ausrüstung streikt.
Warum wir für Hektik meist selbst verantwortlich sind
Zwar können äußere Umstände durchaus für Hektik sorgen, ohne dass wir vorher damit rechnen mussten oder konnten. Wenn wir aber nicht einmal im Navigationsgerät oder in der Verkehrs-App nachgesehen haben, ob wir mit einem Stau rechnen müssen, dann sind wir letztlich doch wieder selbst dafür verantwortlich, dass wir in Eile geraten. An dieser Stelle spielt Selbstüberschätzung eine übergeordnete Rolle: Wir kennen ja die Strecke gut genug – und damit die Zeit, die wir dafür brauchen.
Ähnlich verhält es sich, wenn uns die (Planungs-)Fehler anderer unerwartet in Hektik geraten lassen. Wenn wir aber schon wissen, dass jemand immer zu spät kommt, dann lässt sich das einplanen. Jeder kennt wahrscheinlich solche Leute: so sagen wir unseren Schwiegereltern, dass wir sie um 18:30 Uhr zum Abendessen einladen – obwohl wir die anderen Gäste erst um 19:00 Uhr erwarten. Auch wenn es frustrierend ist: Ihr Verhalten ist vorhersehbar und wir können unsere eigene Planung daran anpassen. Doch warum bringen uns manche Leute wirklich unerwartet in zeitliche Bedrängnis? Wenn diese Leute normalerweise pünktlich sind, können Sie die unerwartete Verzögerung nicht einplanen. Denn wahrscheinlich ist ihnen ein Fehler passiert, der sie in Hektik versetzt hat – und sich dann auch auf Sie auswirkt.
Betrachtet man nun die drei Ursachen unerwarteter Ereignisse, geben die meisten Leute zu, dass sie in 90 Prozent aller Fälle, in denen sie in Hektik geraten, selbst dafür verantwortlich sind. Da wir Hektik und Zeitdruck niemals planen, müssen wir in 90 bis 95 Prozent der Fälle unsere eigenen Fehler wettmachen – die uns meist bei Tätigkeiten passieren, in denen wir eine gewisse Routine haben.
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Wie Selbstüberschätzung Sicherheitsrisiken dramatisch erhöht
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Man kann über gute oder schlechte Planung sagen, was man will. Aber niemand macht sich absichtlich 30 Minuten früher als nötig auf den Weg zum Flughafen – nur für den Fall, dass man seinen Laptop vergisst und nochmal zurückmuss, um ihn zu holen. Es ist schlichtweg zu ineffizient.
Eile entsteht meist durch unsere eigenen Fehler
Wir setzen also darauf, dass wir uns auf uns selbst verlassen können – was meistens auch der Fall ist. Aber immer wieder passieren uns eben Fehler und die können zu Hektik führen, da wir die verlorene Zeit wieder reinholen müssen. Dies gilt einerseits für kleine Verzögerungen, wie zum Beispiel, wenn wir auf dem Weg zum Auto merken, dass unser Handy noch im Haus liegt. Bei großen Fehlern verhält es sich genauso: Beispielsweise, wenn wir das 90-Grad-Verbindungsstück für das Abflussrohr vergessen haben, der Betonmischer schon unterwegs zur Baustelle ist und der Bauleiter sich zur Kontrolle angekündigt hat … wie schnell wird wohl der Polier fahren, um das fehlende Teil zu besorgen?
Diese „hypothetische“ Frage stellte ich einmal einem unserer Referenten, der im Wohnungsbau tätig war. Seine Antwort: „Ich wurde mit 20 Kilometern pro Stunde zu schnell geblitzt und heraus gewunken. Der Polizist ließ mich damals aber weiterfahren, als ich ihm erklärte, was passiert war.“ Das Interessante daran ist: Auch wenn Verkehrsstreifen diese Begründung heute sicherlich nicht mehr durchgehen lassen würden, scheint Hektik für viele vollkommen legitim zu sein – solange es darum geht, effiziente Produktion sicherzustellen oder einfach die Arbeit allgemein betrifft (siehe dazu auch mein Artikel „Production vs. Safety: The Truth Behind the Myth“).
Um jedoch zu meiner Frage, die ich dem Referenten gestellt hatte, zurückzukommen: Genau dieses Szenario war ihm tatsächlich schon einmal passiert! Auch bei diesem Vorfall sorgte ein selbst verursachter Fehler für die Hektik. Denn meistens geraten wir in Eile, weil wir spät dran sind. Und der Grund für unsere Verspätung ist nicht, dass wir das so geplant hatten – sondern weil etwas Unerwartetes geschehen ist. Die Verantwortung dafür liegt dennoch in 90 Prozent aller Fälle bei uns selbst. Uns ist ganz einfach ein menschlicher Fehler passiert.
Fast alle Fehler kosten uns Zeit – mal mehr, mal weniger. Manche kosten uns zusätzlich auch noch Geld oder Nerven. Angesichts der Anzahl der Fehler, die wir jeden Tag machen, ist es kein Wunder, dass wir so oft hektisch sind. Und doch scheinen wir jedes Mal aufs Neue überrascht zu sein: „Ich kann nicht glauben, dass ich schon wieder die Gangway herunterrenne“ – denn sicherlich hatten wir es anders geplant.
Aktiv werden: Was man gegen Hektik tun kann
Wir alle kennen den Ausdruck „Wissen ist Macht.“ Aber nur, wenn man sein Wissen auch anwendet, entfaltet es tatsächlich seine Macht – indem es Verhaltensänderungen anstößt. Geht es um die Vermeidung „schutzloser Momente“, dann müssen wir
Sicherheitsrelevante Gewohnheiten einüben, wie zum Beispiel zuerst die Augen und dann sich selbst zu bewegen.
Wenn Menschen über die vier Zustände und unerwarteten Fehler Bescheid wissen, dann können sie auch absehen, wann sie wahrscheinlich in Eile geraten, frustriert sind, müde werden oder sich selbst überschätzen und nur noch auf Auto-Pilot funktionieren. Die meisten von uns können auch abschätzen, welche Fehler sie selbst oder das Unternehmen am teuersten zu stehen kommen beziehungsweise die meiste Zeit kosten. Denken wir über diese Fehler nach oder darüber, diese Fehler eben nicht zu machen, dann werden sie uns in den meisten Fällen auch nicht passieren – weil wir uns vorab damit auseinandergesetzt haben.
Aber: Nur weil wir vorher wissen, wann wir vermutlich in einen oder mehrere der vier Zustände geraten und uns Worst-Case-Szenarien vorstellen können, bedeutet das noch lange nicht, dass wir diese Szenarien auch tatsächlich aktiv umgehen. Die Voraussetzung, um proaktiv Fehler vermeiden zu können, ist zu wissen, wie: Durch engen Kontakt und themenbezogene und relevante Kommunikation zwischen Vorgesetzten, Sicherheitsbeauftragten und Mitarbeitern können in Unternehmen Verhaltensänderungen initiiert werden. Den Mitarbeitern wird so das Wissen vermittelt, das sie brauchen, um selbst Engagement für ihre eigene Sicherheit zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist zwar keine grundlegend neue Erkenntnis, es ist aber eine neue Art, Mitarbeiterengagement zu betrachten.
Ein neuer Blick auf Mitarbeiterengagement: Zukunftsgerichtetes und proaktives Nachdenken über Sicherheit
Mit der richtigen Gesprächsführung lassen sich Fehler vermeiden
Dagegen ist es viel einfacher, mit Menschen über die Fehler zu sprechen, die ihnen eventuell in Zukunft passieren könnten. Man muss sie nicht bei der Arbeit beobachten, man kann sich fast überall mit ihnen unterhalten. Da man nur über Hypothetisches spricht („Was könnte eventuell passieren?“ anstatt „Was ist gerade passiert?“) ist es auch weniger übergriffig. Aber am wichtigsten ist, dass dieses Vorgehen die Menschen dazu bringt, über die Zustände nachzudenken, die zu unerwarteten Fehlern mit teilweise ernsthaften Folgen führen können. Das hilft ihnen dabei, die Technik des Self-Triggerings schneller und effizienter anzuwenden – nämlich schon dann, wenn sie beginnen, in einen oder mehrere dieser Zustände abzudriften. Sobald sie sich selbst triggern und in den Moment zurückkommen, sinkt die Wahrscheinlichkeit deutlich, einen unerwarteten und/oder schwerwiegenden Fehler zu machen. Wir müssen unser Engagement also auf die Zukunft richten: Was könnte passieren und welche Zustände könnten wahrscheinlich dazu führen? Dieses Vorgehen ist proaktiv und relevant, da es zukunftsgerichtet ist und vor Augen führt, was einen oder mehrere Fehler auslösen kann.
Bereits einfache Mittel erzielen enorme Effekte – in der Arbeitssicherheit und darüber hinaus
Hat man die Zustände identifiziert, so ist die nächste Frage, wann man am wahrscheinlichsten in einen oder mehrere von ihnen gerät. Die meisten Menschen wissen, wann sie üblicherweise hektisch oder müde werden. Kurz bevor dies passiert, etwa kurz vor Schichtwechsel, können sie sich zum Beispiel einen Wecker stellen, um die Aufmerksamkeit auf den gefährlichen Zustand zu lenken („Rate Your State“). So lässt sich das Self-Triggering effizienter anwenden. Es handelt sich um einfache Mittel, die jeder benutzen kann und die sehr effektiv bei der Vermeidung zukünftiger unerwarteter Fehler sind. Zudem fördern sie niedrigschwellig sinnvolles und freiwilliges Engagement. Entscheidend ist, sich auf die Zukunft zu fokussieren und nicht zu sehr darauf, was schon passiert ist. Dadurch bekommt man Mitarbeiter deutlich leichter zum Reden – ganz zu schweigen von den Verbesserungen in Organisation und Verwaltung. Was diese Methode zusätzlich wertvoll macht: Sie bringt die Menschen dazu, proaktiv darüber nachzudenken, wie sie den nächsten großen Fehler verhindern können.
Die einzige Quelle, die Sie benötigen, um über den auf menschlichen Faktoren basierenden Ansatz zur Verbesserung von Sicherheit und Leistung informiert zu bleiben.