Laut Defi nition sind Sicherheitsfachleute für die Kontrolle der Risiken verantwortlich, denen die Mitarbeiter ausgesetzt sind. Dementsprechend neigen sie dazu, sich auf Verfahren, technische Lösungen und anderen Kontrollen zu konzentrieren – mit dem Ziel, die Arbeitnehmer möglichst wenigen Risiken am Arbeitsplatz auszusetzen. Im besten Fall sind diese Systeme logisch, umfassend und funktionieren so effi zient wie ein Uhrwerk. Die Menschen, die diese Systeme anwenden sollen, arbeiten allerdings oft nicht auf die gleiche Weise.
Das Verhalten der Mitarbeiter wird von verschiedenen Faktoren beeinfl usst, und einige davon beeinträchtigen womöglich die Leistung der Mitarbeiter innerhalb eines Sicherheitssystems. Ganz gleich, wie streng die Vorgaben auch sein mögen: Menschliches Verhalten kann Mitarbeiter dazu bringen, nahezu jede Sicherheitsmaßnahme zu umgehen. Mehr Regeln einzuführen wird Verhaltensschwankungen nicht verhindern, denn um diese Regeln zu befolgen, müssten die Mitarbeiter zu 100 Prozent und zu jeder Zeit rational handeln – was sie nicht tun.
Diese Rolle spielen Sicherheitsgewohnheiten
Wie können Verantwortliche im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit ein konsequenteres, sicheres Verhalten fördern? Der Schlüssel liegt darin, sich darauf zu konzentrieren, die richtigen Sicherheitsgewohnheiten zu entwickeln und zu stärken. Gewohnheiten sind ein wichtiger Bezugspunkt für unser Gehirn. Sie geben uns die Möglichkeit, uns routinemäßig zu verhalten, ohne bei jedem einzelnen Schritt selbst kleine Entscheidungen bewusst treff en zu müssen. Tatsächlich haben Untersuchungen gezeigt, dass Gewohnheiten etwa 40 Prozent des menschlichen Verhaltens ausmachen (Society for Personality and Social Psychology, 2014).1 Wenn man über Gewohnheiten spricht, denkt man oft an kleine alltägliche Verhaltensweisen, wie zum Beispiel das morgendliche Zähneputzen oder das Anschnallen im Auto. Gleichzeitig haben Gewohnheiten off ensichtlich großen Einfl uss auf unser Sicherheitsverhalten – vom Anziehen der PSA bei Schichtbeginn bis hin dazu, dass wir in unserer Arbeitsumgebung, Ordnung halten, sodass Stolperfallen gar nicht erst entstehen.
Viele alltägliche Handlungen bauen auf Routinen auf, weil wir dadurch unsere mentalen Reserven für Anliegen aufsparen können, die unsere volle Aufmerksamkeit erfordern. Doch das hat auch Nachteile. Vor allem kann das dazu führen, das wir Tätigkeiten „auf Autopilot“ ausführen, wenn wir eigentlich aufmerksam sein sollten. Darüber hinaus können manche Gewohnheiten am Arbeitsplatz problematisch werden, insbesondere wenn gefährliche (Bewegungs-)Energie vorhanden ist. Zum Beispiel kann es potenziell schwerwiegende Folgen haben, wenn man in der Lagerhalle losläuft, ohne sich vorher umzuschauen.
Man kann sich zwar über Gewohnheiten hinwegsetzen, indem man eine Aufgabe ganz bewusst ausführt, aber das erfordert Konzentration – und ein Mensch kann sich nur auf einige wenige Dinge gleichzeitig konzentrieren. Sicherheitsverantwortliche wissen dies nur zu gut, wie auch eine BLR-Umfrage (2015) mit fast 1.300 befragten Sicherheitsfachleuten zu Vorfällen wegen Ausrutschen, Stolpern und Stürzen am Arbeitsplatz belegt. Zwar sind 85 Prozent der Befragten der Meinung, dass sich das Sicherheitsverhalten der Mitarbeiter verbessert, wenn man sie an sicherheitsrelevante Geh- und Ordnungspraktiken erinnert. Die meisten sind jedoch davon überzeugt, dass der Eff ekt nur vorübergehend ist.2 Sobald die Mitarbeiter wieder an etwas anderes denken, kehren sie schlussendlich doch wieder zu ihren alten Gewohnheiten zurück.
Dies stellt ein besonders großes Problem für die Verantwortlichen in den Bereichen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz dar, da die meisten Arbeitsumgebungen voller Ablenkungen sind, die das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiter gefährden. Und fast alle Branchen werden von einem einzigen Faktor beherrscht, der unweigerlich in den Köpfen der meisten Mitarbeiter auftaucht und ihren Fokus auf sicheres Verhalten beeinträchtigt: Stress.
Stress zeigt sich in verschiedenen Formen. Müdigkeit ist zum Beispiel eine Form von körperlichem Stress, und es kann schwierig sein, konzentriert zu bleiben, wenn man müde ist. In anderen Stressmomenten, etwa wenn man sich gehetzt oder frustriert fühlt, neigen wir eher dazu, zur Routine zurückzukehren. So ergab eine Studie der University of Southern California (2013), dass Menschen in Zeiten von Stress besonders anfällig dafür sind, in alte Gewohnheiten zu verfallen.3
Bei der Bekämpfung vieler menschlicher Faktoren sind Gewohnheiten nur begrenzt von Nutzen. Wenn es an einem Standort übermäßig oft vorkommt, dass sich Mitarbeiter in Eile, Frustration oder Müdigkeit Verletzungen zuziehen, dann sollte das Arbeitsschutz- und Sicherheitsteam seinen Fokus bei Verbesserungsmaßnahmen an diesem Standort womöglich auf Schulungen über die menschlichen Faktoren legen.
Man muss zunächst über eine längere Zeit hinweg die neuen Verhaltensweisen verstärken, bevor sie sich im Gehirn verankern.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist, der Belegschaft persönliche Sicherheitskompetenzen zu vermitteln, sodass diese lernt, aufmerksam zu bleiben und die Selbstüberschätzung zu bekämpfen. Natürlich ist es schwer, den Fokus zu 100 Prozent aufrechtzuerhalten. Umso entscheidender sind deshalb gute Gewohnheiten – und darüber hinaus sind sie ein äußerst wirksames Mittel gegen Selbstüberschätzung.
Neue Gewohnheiten aufbauen
Viele Menschen betrachten Gewohnheiten pauschal als negativ (zum Beispiel zu viel zu essen oder Nägelkauen), doch Gewohnheiten können auch positiv sein. Wenn man beispielsweise die Autoschlüssel jeden Abend an der gleichen Stelle ablegt, muss man sie nicht mehr am nächsten Morgen suchen, bevor man sich auf dem Weg zur Arbeit macht. Wenn man sich immer einen Schutzhelm aufsetzt, wenn man aus einem Lkw aussteigt, trägt man eher die PSA, selbst wenn man nicht bewusst daran denkt.
Die Menschen fallen ebenso häufig auf eine positive Gewohnheit zurück wie auf eine negative. Im Hinblick auf Arbeitssicherheit machen verbesserte Verhaltensweisen die Arbeitnehmer in genau den Momenten sicherer, wenn ihr Sicherheitsrisiko am größten ist. Da unser tägliches Verhalten so stark von unseren Gewohnheiten abhängt, liegt der Schlüssel zu einer nachhaltigen Verbesserung des sicheren Verhaltens darin, bessere Gewohnheiten aufzubauen. Doch das geschieht nicht über Nacht.
Es gibt die gängige Annahme, dass es 21 Tage dauert, sich eine neue Gewohnheit anzueignen. Leider ist die Sache nicht ganz so einfach, und diese Aussage ist unvollständig. Eine Studie über das Ändern von Gewohnheiten zeigte, dass das Bilden einer neuen Gewohnheit mindestens 21 Tage dauert. Anschließende Untersuchungen haben bestätigt, dass die 21-Tage-Marke oft ein Best Case-Szenario darstellt und dass der mittlere Zeitrahmen für die Gewohnheitsbildung 66 Tage beträgt (Lally, van Jaarsveld, Potts, et al., 2010).4
Das Wort „mindestens“ ist also zentral. Man muss zunächst über eine längere Zeit hinweg die neuen Verhaltensweisen verstärken, bevor sie sich im Gehirn verankern. Einer der effektivsten Wege, gegen eine schlechte Gewohnheit vorzugehen, ist, sie durch eine neue zu ersetzen. Physiologisch gesehen sind Gewohnheiten wie eine Straßenkarte, der das Gehirn folgt. Wenn eine bestehende durch eine neue Gewohnheit ersetzt, schafft das Gehirn neue neurale Bahnen zur alten Gewohnheit hin und platziert die neue Gewohnheit buchstäblich auf der anderen (Duhigg, 2012).5
Das Ändern von Gewohnheiten bedeutet immer viel Arbeit. Doch das heißt auch, dass die klassischen Mittel zu Schock oder Einschüchterung, die den Verantwortlichen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz ansonsten zur Verfügung stehen, keinen bleibenden Effekt auf die Mitarbeiter haben werden, sodass diese ihre Gewohnheiten ändern würden. Die durchschnittliche Person entwickelt in knapp zehn Wochen eine neue Gewohnheit – und viele Mitarbeiter brauchen länger. Darum werden weder ausführliche Videos noch schockierende Geschichten einen anhaltenden Einfluss auf ihr Verhalten haben – jedenfalls nicht für die volle Zeitspanne, die es braucht, um eine neue Routine zu festigen.
Negative Kommunikation, vom Verbreiten von Panik vor Verletzungen bis hin zum Anbrüllen nach der alten Schule: All das mag das Verhalten für den Moment korrigieren, jedoch wird die Wirkung nachlassen, lange bevor sich eine neue Gewohnheit herausbildet. Positives Denken hingegen erhöht nachweislich die Fähigkeit der Menschen, persönliche Fertigkeiten zu entwickeln (Fredrickson, Cohn, Coffey, et al., 2008). Zudem haben Vorgesetzte höhere Erfolgschancen bei der Förderung von besseren Gewohnheiten, wenn sie einen Ansatz verfolgen, der auf Ermutigung und Unterstützung basiert.6
Viele Bemühungen im Sicherheitsbereich konzentrieren sich auf die zentrale Notwendigkeit, die Mitarbeiter durch die Kontrolle der Gefährdung zu schützen. Zwar gibt es ganze Branchen, die Unternehmen dabei unterstützen, bauliche Absperrungen zu installieren und so zu verhindern, dass Mitarbeiter mit Maschinen in Kontakt kommen. Relativ wenig Beachtung erhält jedoch das breite Spektrum an potenziell riskanten Gewohnheiten der Mitarbeiter, welche den Arbeitsalltag beeinflussen – ganz zu schweigen davon, wie sie ihre Gewohnheiten richtig anpassen.
Indem Sie die Hilfsmittel für den Aufbau besserer Gewohnheiten bereitstellen – einschließlich ausreichend Zeit für das Arbeiten an den Gewohnheiten sowie häufige Checks zur Fortschrittsanalyse – unterstützen Sie die Mitarbeiter, dran zu bleiben.
Nächste Schritte
Die Forschung zu Gewohnheiten entwickelt sich weiter, und Studien bestätigen weiterhin, dass das Arbeiten an Gewohnheiten eine Voraussetzung für eine Verhaltensänderung ist. Um welche Verhaltensweisen es auch geht – von Arbeitern, die vergessen, PSA zu tragen, bis hin zu Rückenverletzungen aufgrund unsachgemäßer Hebetechniken: die Gewohnheiten zu verbessern ist ein gangbarer Teil der Lösung. Jeder hat die Grundfähigkeiten, einen Schutzhelm aufzusetzen oder beim Heben die Knie zu beugen. Was fehlt, sind die tief verwurzelten Muster, die ihnen helfen, diese Verhaltensweisen gewohnheitsmäßig umzusetzen.
Natürlich ist das Aneignen besserer Gewohnheiten leichter gesagt als getan, vor allem wenn man bedenkt, wie lange es dauert, bis sich eine neue Gewohnheit gefestigt hat. Es braucht Geduld und Arbeit auf beiden Seiten, sowohl vom Sicherheitsmanagement als auch von den Mitarbeitern, doch es ist den Aufwand wert. Indem Sie die Hilfsmittel für den Aufbau besserer Gewohnheiten bereitstellen – einschließlich ausreichend Zeit für das Arbeiten an den Gewohnheiten sowie häufige Checks zur Fortschrittsanalyse – unterstützen Sie die Mitarbeiter, dran zu bleiben. Da ein bewusst positiver Ansatz eine wichtige Rolle im Prozess der Gewohnheitsbildung spielt, sollten sich Sicherheitsverantwortliche auch darauf konzentrieren, gutes Verhalten positiv zu verstärken, anstatt die Mitarbeiter für Ausrutscher zu bestrafen, wenn sie in alte Gewohnheiten zurückfallen.
Auch Motivation hilft den Menschen dabei, an ihren Gewohnheiten zu arbeiten: sie bietet ihnen das „Warum“ dafür, dass sie die Zeit investieren und die Anstrengung auf sich nehmen, neue Gewohnheiten aufzubauen. Wenn Mitarbeiter ihr Verhalten für sicher genug halten, stellen sie womöglich die Notwendigkeit in Frage, ihre Gewohnheiten zu verbessern. Nach den Erfahrungen des Autors stammt die wirksamste Motivation aus dem Privatleben der Mitarbeiter. Versuchen Sie daher, aufzuzeigen, welchen Mehrwert eine sicherheitsrelevante Gewohnheit auch im Familienleben, persönlichen Aktivitäten, Hobbys oder dem Freizeitsport bringen könnte.
Jeder Mitarbeiter wird in einem anderen Tempo vorankommen, und einige werden mehrere Fehlstarts erleben. Denken Sie daran: sie versuchen, tief verwurzelte Muster zu überschreiben. Mit Beharrlichkeit, Positivität und einem stetigen Anstoß zum Ziel hin kann das Sicherheitsmanagement die Mitarbeiter effektiv vor Verletzungen schützen. Dieses übergeordnete Ziel kann dadurch erreicht werden, indem die Mitarbeiter konkret in einem Bereich geschult werden, in dem es am wichtigsten ist: ihre täglichen Gewohnheiten.
- Society for Personality and Social Psychology. (2014, Aug. 8). How we form habits, change existing ones. ScienceDaily.
- BLR. (2015). Understanding how human factors affect slips, trips and falls. Safety Daily Advisor.
- University of Southern California. (2013, May 27). Healthy habits die hard: In times of stress, people lean on established routines—even healthy ones. ScienceDaily.
- Lally, P., van Jaarsveld, C.H.M., Potts, H.W.W., et al. (2010). How are habits formed: Modellng habit formation in the real world. European Journal of Social Psychology, 40(6), 998-1009.
- Duhigg, C. (2012). The power of habit: Why we do what we do in life and business. New York, NY: Random House.
- Fredrickson, B.L., Cohn, M.A., Coffey, K.A., et al. (2008). Open hearts build lives: Positive emotions, induced through loving-kindness meditation, build consequential personal resources. Journal of Personality and Social Psychology, 95(5), 1045-1062.

Titel: Sicher aus Gewohnheit: Wie Sie sicherheitsrelevante Verhaltensweisen bilden, ändern und verstärken können
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Autor:SafeStart
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Dateityp:PDF
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Dateigröße:2 MB