Wie lassen sich Fehler vermeiden, bevor sie passieren? Für diesen Zweck haben wir das Konzept des Self-Triggering entwickelt: So gehen Sie mit den emotionalen und physischen Zuständen richtig um, noch bevor kritische Fehler entstehen und Verletzungen passieren.
Im sechsten Artikel der Paradigmenwechselreihe führen wir nun die vorherigen Konzepte zusammen und zeigen Ihnen, wie die emotionalen Zustände Hektik, Frustration und Müdigkeit zu Fehlern führen, ein geringes Risiko stark erhöhen und in der Folge Verletzungen und Unfälle verursachen. Nachdem wir uns bislang vor allem mit dem Zustand der Selbstüberschätzung befasst haben und wie sich dessen negativen Auswirkungen begegnen lässt, stellen wir nun das Konzept des Self-Triggering vor. Mithilfe von Self-Triggering erkennen Sie, wenn Sie müde, frustriert oder hektisch werden und können sich dadurch in Echtzeit trotzdem sicher verhalten.
Im ersten Artikel der Paradigmenwechsel-Reihe ging es um die Frage Gefahr oder gefährliche Energie. Erst ein menschlicher Fehler macht eine Energie zur gefährlichen Energie. Im zweiten Artikel betrachteten wir unsere persönliche Risiko-Pyramide und die drei Quellen unerwarteter Ereignisse – diese liegen zu 95 Prozent in unserem eigenen Verhalten. Der dritte Teil zeigte, warum Risikobewertungen alles andere als intuitiv sind: Denn die schlimmsten Verletzungen sind meist nicht die Folge der gefährlichsten Tätigkeiten. Im Beitrag Vier befassten wir uns mit den vier Zuständen Hektik, Frustration, Müdigkeit und Selbstüberschätzung im Allgemeinen und welche Rolle unsere Reflexe und zwei kritische Fehler – Augen und Kopf nicht bei der Sache – wirklich einnehmen. Die Frage „Sind wir schon sicher genug?“ wurde im fünften Artikel beleuchtet. Hier stand der Zustand der Selbstüberschätzung im Mittelpunkt und wie wir Gewöhnungseffekten entgegenwirken.
Wie aber können wir mit den anderen drei Zuständen – Hektik, Frustration und Müdigkeit – so umgehen, dass sie nicht zu folgenschweren Fehlern führen? Dies ist die Frage, mit der wir uns in diesem Paradigmenwechsel-Artikel befassen.
Klar ist: Wenn wir infolge eines Fehlers das Gleichgewicht verlieren oder eine rote Ampel übersehen, dann ist das immer unbeabsichtigt und damit unvorhersehbar. In Bezug auf Fehler müssen wir aber eine wichtige Unterscheidung treffen: Es gibt Entscheidungen, bei denen wir damit rechnen, dass sie auch schiefgehen könnten. Beispielsweise wenn wir heiraten oder in Aktien investieren. Entwickeln sich die Dinge dann nicht so, wie wir sie uns erhofft hatten, dann kommt das nicht völlig unerwartet.
Stolpern wir hingegen über ein herumliegendes Kabel oder rutschen auf dem frisch gewischten glatten Boden aus, dann fallen wir oft so schnell, dass wir gar nicht wissen, was eigentlich passiert ist. Das Ereignis kommt für uns völlig unerwartet.
Natürlich können wir vorab Berechnungen darüber anstellen, wie schnell wir in die Kurve fahren können und wie sich der Bremsweg auf nassem Untergrund verlängert. Aber mal ehrlich: Wenn wir fallen oder ins Schleudern geraten, dann ist das in den seltensten Fällen das Ergebnis fehlerhafter Berechnungen. Deutlich öfter haben wir nicht einen Gedanken an das Risiko verschwendet – oder gar nicht gesehen, dass der Untergrund nass ist. Weil wir mit Kopf und Augen nicht bei der Sache waren.
Obwohl wir wissen, dass jeder Mensch Fehler macht, treffen sie uns doch unvermittelt. Und die Mehrzahl von ihnen zieht ungewollte Folgen nach sich. Deshalb versuchen wir, niemals Fehler zu machen, ebenso wie wir versuchen, uns niemals zu verletzen. Wenn wir uns nicht bewegen und sich auch keine Dinge um uns herum bewegen, werden wir uns auch kaum verletzen. Wir können immer noch jede Menge Fehler machen, die uns Zeit und Geld kosten – aber das Unfallrisiko verringert sich doch deutlich. Nur wenn Bewegung und kritische Fehler zusammenkommen, kommt es zu Unfällen und Verletzungen.
Insgesamt gibt es vier kritische Fehler: Augen nicht bei der Sache, Kopf nicht bei der Sache, sich in die oder in der Gefahrenzone bewegen, und das Gleichgewicht verlieren.
Können Sie sich an eine einzige Verletzung erinnern, die Sie sich aus eigener Schuld zugezogen haben, obwohl Blick- und Bewegungsrichtung übereinstimmten? Obwohl Sie die Augen bei der Sache hatten? Obwohl Sie gedanklich bei der Sache waren? Obwohl Sie sich potenzieller Gefahren bewusst waren und obwohl Sie darauf achteten, nicht den Halt oder das Gleichgewicht zu verlieren? Handelt es sich nicht um eine sportliche Aktivität, dann lautet Ihre Antwort auf diese Frage höchstwahrscheinlich nein. Und selbst beim Sport sind Ausnahmen äußerst selten.
Wenn wir also versuchen, möglichst keine Fehler zu machen – warum passieren sie uns dann trotzdem immer wieder? „Das hat viele Gründe“, werden die meisten von uns sagen. Aber sind es wirklich „viele“ – oder nur einige wenige? Dies ist entscheidend: Denn wenn es nur einige wenige Ursachen für Fehler gibt, dann sind sie deutlich leichter beherrschbar. Denken Sie noch einmal an von Ihnen selbst verursachte Verletzungen: Können Sie sich an eine Verletzung erinnern, bei der Sie nicht in Hektik, frustriert, übermüdet oder so nachlässig waren, dass Sie Gefahren oder gefährliche Energie völlig unterschätzten? Wenn Sie jetzt mit „Ja“ antworten, dann befanden Sie sich wahrscheinlich in einem Zustand extremer Freude oder extremer Trauer. Allerdings sind diese beiden Zustände die absolute Ausnahme.
Keine Ausnahme sind hingegen die oben aufgelisteten vier Zustände: Beinahe jeden Tag sind wir mehrmals hektisch, frustriert, müde und überschätzen unsere Fähigkeiten, sodass wir unkonzentriert und nachlässig werden – auch und besonders am Arbeitsplatz. Es gibt also eine gute Nachricht: Für 95 Prozent aller Unfälle sind diese vier Zustände verantwortlich; die Ursachen scheinen also beherrschbar. Die schlechte Nachricht lautet: Wir können diese Zustände leider nicht eliminieren.
Denn wir können zwar sagen: „Werde nicht hektisch“ – schwieriger wird es allerdings, wenn wir verlangen, nie wieder müde zu sein. Um mehr Sicherheit zu erlangen, müssen wir deshalb lernen, mit diesen Zuständen richtig umzugehen. Wir können unser Bewusstsein so schärfen, dass wir merken, wenn wir hektisch, müde oder frustriert werden – und dann richtig reagieren. Diese Zustände müssen also einen Auslöser, einen Trigger, für uns darstellen. Mit diesen Warnsignalen können wir uns selbst ermahnen, unsere Augen und unseren Kopf bei der Sache zu behalten, die Gefahrenzone zu beachten und unsere Aufmerksamkeit auf potenzielle Stolperfallen zu lenken. Sobald wir also merken, dass wir hektisch, frustriert oder müde sind, müssen wir uns in Echtzeit selbst „triggern“.
„Self-Triggering” ist damit die erste Technik zur Fehlervermeidung. Es handelt sich um einen zweistufigen Prozess: Sobald wir uns selbst triggern und zurück in den Moment kommen, muss der erste Impuls sein, die Geschwindigkeit zu reduzieren, sich zu beruhigen oder eine Pause zu machen. Leider ist das am Arbeitsplatz (und auch sonst) nicht immer möglich. Deshalb müssen wir im zweiten Schritt unsere Aufmerksamkeit mit Kopf und Augen auf die Aufgabe richten, auf die Gefahrenzone und potenzielle Stolperfallen achten. Entscheidend ist, dies sofort zu tun – so schnell, dass wir den Fehler vermeiden können.
Das klingt einfach – ist es aber nicht: Denn wir alle wissen zwar, dass uns in der Hektik öfter Fehler passieren. Befinden wir uns aber in einem Zustand der Hektik, dann ist uns das nicht mehr so klar. Wir neigen dazu, Arbeitsschritte abzukürzen oder Sicherheitsmaßnahmen „dieses eine Mal“ zu ignorieren, weil wir dann vermeintlich schneller sind und „Zeit sparen“.
An diesem Moment setzt das Self-Triggering an. Denn der Zustand der Hektik löst in der Regel Nervosität aus. Wenn wir vom Zustand-Fehler-Prinzip ausgehen, können wir diese Nervosität als Hektik identifizieren und damit auch als mögliche Fehlerquelle aufdecken. Wir haben die Möglichkeit, die Unachtsamkeit und damit einen unbeabsichtigten Fehler zu vermeiden, lange bevor ein Schaden entstehen kann.
Das Gleiche gilt, wenn wir müde oder frustriert sind. Durch Müdigkeit sinkt unsere Konzentrationsfähigkeit stark. Auch hier können wir uns aber selbst triggern: Indem wir unseren Zustand bemerken, können wir unsere Aufmerksamkeit immer wieder zurück zu unserer Tätigkeit lenken. Sind wir frustriert, ist es ähnlich: Unsere Gedanken kreisen um den Grund für die Frustration – sei es ein Ehekrach oder eine ungerechte Behandlung durch einen Vorgesetzten. Auch in diesem Fall können wir den Zustand der Frustration als „Trigger“ dafür nutzen, unsere Gedanken wieder zurück zu unserer gegenwärtigen Tätigkeit zurück zu bringen.
Genau hierin liegt enormes Potenzial: Im richtigen Moment das Warnsignal zu erkennen, um sich in Echtzeit sicher zu verhalten und Fehler zu vermeiden.
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