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Risikobewertung neu gedacht. Die Erweiterung um die dritte Dimension.

Umfassende Risikobewertungen und Gefahrenanalysen sind aus der Arbeitssicherheit nicht mehr wegzudenken. Trotz langjähriger Praxis wurden diese jedoch kaum weiterentwickelt und folgen seit Jahrzehnten denselben Mustern. Erfahren Sie hier, warum die Methoden teilweise lückenhafte Ergebnisse produzieren – und wie Sie diese Lücken schließen können.

Der Prozess der Risikobewertung

Prozesse zu Risikobewertungen gibt es schon seit vielen Jahren. Meiner Erinnerung nach habe ich zum ersten Mal in den frühen 1960er Jahren einen durchgeführt. Damals gab es ein paar Sicherheitsvorschriften, aber nicht gerade viele, und das war lange vor der Gründung der amerikanischen Occupational Safety and Health Administration (OSHA). Wir sahen uns all die verschiedenen Möglichkeiten an, wie sich jemand bei der Herstellung eines landwirtschaftlichen Geräts namens Kreiselegge bei Schweiß- und Montagear beiten verletzen könnte. Ihr Gebrauch ist seit dem Aufkom men von Mindestpflanzdichte und Direktsaatmaschinen deutlich zurückgegangen. Damals allerdings bestand ein hoher Bedarf an Kreiseleggen und diese Maschinen waren schwierig herzustellen – viel schweres Heben, verzwick te Schweißpositionen und unzählbare Quetschstellen.

Wir hatten es mit einer ganzen Menge Verletzungen zu tun, und wir wussten, dass wir ein Problem hatten. Es musste etwas passieren. Wir setzten uns also im Team zusammen, listeten jeden einzelnen Arbeitsschritt auf, und versuchten, alle Möglichkeiten herauszufinden, die zu einer Verletzung führen können – scharfe Kanten, Quetschstel len, heißes Material, schweres Heben, etc. Dies ähnelte im Grunde genommen einer frühen Variante von Gefähr dungsbeurteilung oder Arbeitsplatzsicherheitsanalyse.

Zunächst schauten wir, mit welcher Wahrscheinlich keit eine unerwünschte Situation eintreten würde (sehr wahrscheinlich, wahrscheinlich und unwahrscheinlich), dann sahen wir uns die Schweregrade der Folgen an und versuchten zu bestimmen, wie schwerwiegend die Verletzung sein könnte (sehr schwer, schwer oder nicht schwer). Das ist zwar keine Atomwissenschaft, aber ein System, das dazu dienen soll, ein besseres Bewusstsein zu schaffen und diejenigen Situationen auszuschließen, die wir als „nicht-akzeptables Risiko“ definierten. Wir ver wenden dieses System aus gutem Grund bis heute – es ist einfach und es hilft uns dabei, unser Bewusstsein zu schärfen und offenkundige Herausforderungen zu lösen.

Risikomatrix Schweregrad Wahrscheinlichkeit.png

An dieser Stelle scheint es naheliegend, dass Vorfälle mit einer hohen Wahrscheinlichkeit und potenziell schweren Folgen einen größeren Aufwand erfordern, um ihre Aus wirkungen einzudämmen, als Vorfälle, die weder wahr scheinlich noch schwerwiegend sind. Diese würden keine oder nur geringe Korrekturen erfordern. So vernünftig das auch klingen mag, war mir sogar damals schon klar, dass irgendetwas bei der Art und Weise, wie Risiken bewertet wurden, fehlte. Was ist mit Fehleinschätzungen, Probleme durch mangelnde Qualifikationen, oder einfach mensch lichem Versagen? Die Risikobewertungen berücksichtigen diese und viele andere Variablen nicht, weil der Maßnah menplan auf lediglich zwei Dimensionen ausgelegt ist.

Bewusstseinszustände und Risikoanalyse

Menschliches Verhalten und seine Folgen variieren. Ich bin Ingenieur. Ich hasse Variabilität. Geben Sie mir einen konsistenten, wiederholbaren Prozess und es ist rela tiv einfach, diesen zu verbessern. Wenn Sie mir einen variablen Prozess geben, muss ich ihn erst wiederholbar und konsistent machen, bevor ich die leiseste Chance habe, Verbesserungen vorzunehmen. Wenn Sie sich ein Risiko anschauen und eine Zustand-Fehler-Analyse durchführen (zum Beispiel, wie Eile zu einem Leistungs fehler führen kann), unterschätzen Sie möglicherweise das Risiko, wenn Sie lediglich die einfache zweidimen sionale Methode verwenden – eben wegen der Variabili tät, die durch menschliche Faktoren verursacht wird.

Es gibt eine Reihe von Zuständen, die die Sicherheit be einträchtigen können: Hektik, Frustration, Wut, Müdigkeit, Angst, Panik und Selbstüberschätzung (auch Complacen cy genannt). Jeder einzelne dieser Zustände, oder eine Kombination von ihnen, kann zu Sicherheitsfehlern führen sowie die Qualität und Produktivität beeinflussen. Aber sie finden niemals Berücksichtigung in der zweidimensio nalen Methode.

Selbstüberschätzung

Zwar beeinflussen viele Zustände die Leistung, doch kein anderer scheint so weitreichende Folgen wie Selbst überschätzung beziehungsweise Complacency nach sich zu ziehen. Complacency erhöht Risiken deutlich und, was noch besorgniserregender ist, sie verändert dras tisch, wie ein Risiko überhaupt wahrgenommen wird.

Die blaue Linie in der Abbildung unten zeigt die Fähig keit an, eine Aufgabe durchzuführen. Sie beginnt in der linken unteren Ecke und steigt mit zunehmender Erfahrung und steigendem Wissen an. Wenn wir et was Neues lernen, wie etwa Fahrradfahren, oder einen neuen Job antreten, fangen wir mit geringen Fähig keiten und gleichzeitig sehr hohem Risikobewusstsein an. Das Risikobewusstsein wird durch die mehrfarbige Linie dargestellt, die in der linken oberen Ecke (ho hes Risikobewusstsein) beginnt und sich zur rechten unteren Ecke bewegt (geringes Risikobewusstsein).

Das Bewusstsein-selbstüberschätzung-kontinuum
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Titel: Risikobewertung neu gedacht. Die Erweiterung um die dritte Dimension.

  • Autor:
    Gary A. Higbee
  • Dateityp:
    PDF
  • Dateigröße:
    1 MB

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Gary A. Higbee
Über den Autor

Gary A. Higbee

Gary A. Higbee, EMBA, CSP, ist Präsident/CEO von Higbee & Associates, Inc. und Senior SafeStart Consultant. Gary Higbee ist Experte für Sicherheitsmanagementsysteme und Unter-nehmenswandel, war zweimal Präsident des Hawkeye Chapter der ASSEund ist ehemaliger Regional Safety Professional of the Year. Im Jahr 2010wurde Gary mit dem Distinguished Service to Safety Award ausge-zeichnet, dem höchsten Sicherheitspreis des NSC, den Einzelpersonenerhalten können. Erfahren Sie mehr unter safestart.com/gary.