Jeder weiß, wie wichtig es für optimale Sicherheitsergebnisse ist, die unmittelbar in der Produktion oder auf der Baustelle tätigen Vorgesetzten mit einzubinden. Und doch tun sich Unternehmen auf der ganzen Welt schwer damit. Warum ist das so? Vielleicht liegt die Ursache dafür in der Ausbildung, in mangelnder Motivation und Verantwortlichkeit – oder in der Art und Weise, wie Neueinstellungen und Beförderungen erfolgen. Theorien gibt es viele.
Aber viel wichtiger ist die Frage: Was kann man dagegen tun? SafeStart-Autor Larry Wilson hat Experten aus führenden Unternehmen zu einem SafeConnection-Expertenpanel eingeladen, um Lösungen aus der Praxis zu finden.
Larry eröffnet das Panel mit der Frage, welche Schritte als Erstes zu unternehmen sind.
- „Wir haben irgendwann erkannt: Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, die Aufseher und Vorgesetzten vor Ort stärker mit einzubeziehen“, berichtet Sarah Morris (Betriebsleiterin bei Glanbia Nutritionals). „Die Bedeutung von Sicherheit war mir immer klar. Aber zu lange habe ich ein sicheres Arbeitsumfeld auf physische Gegebenheiten reduziert. In unserem Werk haben wir laufend in die physischen Gegebenheiten investiert, und dennoch kam es zu Verletzungen.“
- „Die Herangehensweise eines Teamleiters ist entscheidend“, sagt Jason Covarrubias (Health Safety & Environment Senior Manager bei Procter & Gamble). „Denn einige Führungskräfte kommen direkt von der Hochschule und erleben es als gewissen Kulturschock, in ihrer Position für ihre Teammitglieder verantwortlich zu sein. Es ist eine ganz andere Herangehensweise und ein anderer Tonfall, ob ich einen Mitarbeiter frage: ,Warum ist es ausgefallen?‘ oder ob ich frage: ,Haben Sie alles, was Sie benötigen, um das Problem sicher zu beheben?‘.“
- Peter Batrowny (President & CEO von PB Global EHS Inc.) betont ebenfalls, wie wichtig es ist, die Zusammensetzung der Teams zu verstehen: „Einige Unternehmen befördern Mitarbeiter in gerader Linie, andere aus den technischen Rängen, oder man rekrutiert Führungskräfte direkt von der Hochschule“, sagt er. Daher sei es wichtig, sich individuell mit Teamleitern zu befassen. „Theorie ist eine feine Sache”, sagt Peter, „aber die Führungskräfte wünschen ein Coaching, das ihnen hilft, Probleme zu bewältigen, mit denen sie jetzt konfrontiert werden. Und sie möchten lernen, welche für sie geeigneten Instrumente, Fähigkeiten und Techniken wir ihnen dafür an die Hand geben können.“
- Dem stimmt Sarah zu: „Wir wollten nicht allzu viel Zeit im Klassenzimmer verbringen, deshalb haben wir wöchentlich einstündige Sitzungen abgehalten. Lieber treten wir mit pointierten, kleineren Maßnahmen an die Leute heran, als dass wir sie dazu zwingen, sich Lehrvideos anzusehen.“
Somit ist eines klar: Sozialkompetenz ist ein Muss, wenn man Teamleiter mit einbeziehen möchte.
- „Ein Betriebs-, Produktions- oder Sicherheits-Direktor hat nur einen begrenzten Einfluss auf die konkrete Arbeit im Betrieb“, sagt Sarah, „aber ein Vorarbeiter oder Teamleiter ist die ganze Zeit vor Ort und geht ständig mit gutem Beispiel voran.“ Das Ziel ihres Coachings besteht also darin, die Beförderten von technisch starken Mitarbeitern zu starken Führungskräften zu entwickeln.
Neben dem Umgang mit Menschen müssen die neuen Chefs auch lernen, proaktiver zu werden, ohne das Reaktive zu vernachlässigen.
- Peter sagt: „Vorgesetzte müssen sich darüber im Klaren sein, dass Menschen keine Fehler mit Absicht machen. Das wissen wir eigentlich von Natur aus. Aber die Reaktion mancher Führungskräfte auf Fehler vermittelt eine andere Botschaft. Und so lernen die Beschäftigten nicht, wie sie den nächsten Fehler vermeiden können, sondern wie man Fehler verharmlost und davon ablenkt.“
- Außerdem betont Peter den Unterschied zwischen reaktiven Tätigkeiten (nachträgliche Untersuchungen von Vorfällen, Berichte über Beinahe-Unfälle …) und proaktivem Vorgehen (Sicherheitsbegehungen, Risiko-Einschätzungen …). Diese Unterscheidung sei sehr wichtig, und die Vorgesetzten müssten proaktiver werden.
Proaktiv zu sein beinhaltet konkrete Planung auf allen Ebenen.
- Nach Jasons Erfahrung ist eine gute Planung die wirksamste Maßnahme bei der Beaufsichtigung: „Zu Beginn jeder Schicht bespricht jedes Produktionsteam die zu erwartenden Risiken und mögliche Maßnahmen zur Unfallverhütung“, berichtet er. „Weltweit stellen wir bei P&G vor jeder Schicht die Fragen: ,Wo benötigt ihr heute Unterstützung? Wo liegen die Risiken? Brauchen wir Hilfe? Müssen wir etwas verschieben?’ Und jede Führungsebene prüft diese Aspekte bis 9.30 Uhr.“
- Die Planung betrifft jedoch nicht nur den Teamleiter. Wie Jason erklärt, muss ein jeder Techniker vor jeder nicht-routinemäßigen Aufgabe eine Risikobewertung vornehmen, die der Vorgesetzte und andere Führungskräfte überprüfen und dazu Feedback geben.
Ein Erfahrungswert von SafeStart-Autor Larry Wilson: „Diese Art von Planung kann auch dann sehr nützlich sein, wenn es sich um etwas handelt, in dem man bereits Übung hat.“ Denn bei vertrauten Tätigkeiten „denkt man wahrscheinlich gar nicht oder nur ein bisschen nach über das, was man gerade tut, weil man nämlich allzu oft in Hektik, Frustration, Müdigkeit oder Selbstüberschätzung verfällt“. Nach Larrys Ansicht sollte man die Mitarbeiter dazu anhalten, diese vier Gefühlszustände auf einer Skala von Null bis Zehn zu bewerten. Das könne bei der Risiko-Einschätzung für eine Routinetätigkeit helfen.
Vieles hängt von den Beförderungsentscheidungen des Managements ab, sagt Larry: „Man kann freiwillige Schulungen anbieten, um zu erkennen, wer eine gewisse Neigung zur Führung hat. Denn nicht jeder will eine Führungs- oder Aufsichtsperson sein.“
Dann fragt Larry die Diskussionsteilnehmer, wie sie bei der Auswahl von Teamleitern vorgehen, wenn sie aus den eigenen Reihen befördern.
- „Es kann passieren, dass man bei einer Beförderung des besten Schweißers den schlechtesten Vorgesetzten bekommt und den besten Schweißer verliert“, sagt Peter. „Aber man kann Menschen zu guten Führungskräften weiterentwickeln. Dabei muss man proaktiv vorgehen und mit dem Training der Leute beginnen, bevor sie die Rolle wechseln, damit sie zum Zeitpunkt der Beförderung bereit sind, die Rolle zu übernehmen.“
Dazu wirft Larry die Frage auf: „Ist es besser, wenn eine beförderte Person für dieselbe Mannschaft zuständig ist, aus der sie kommt, oder wenn sie eine andere Mannschaft übernimmt?“
- Jason erklärt, dass beförderte Mitarbeiter bei P&G grundsätzlich an einen anderen Ort wechseln und dort ein Team übernehmen, mit dem sie bisher nicht gearbeitet haben. „Der erste Karriereschritt kann der schwierigste sein“, sagt er, „aber wir setzen Mitarbeiter nicht solchen Situationen aus, wenn wir nicht sicher sind, dass sie erfolgreich sein werden.“
- Sarahs Betrieb verfolgt einen anderen Ansatz: „Wir sitzen an einem sehr ländlich geprägten Ort in Idaho mit nur dreitausend Einwohnern. Da haben wir natürlich keine vergleichbaren Freiheiten“, erklärt sie. „Normalerweise stehen uns ausreichend viele Mitarbeiter mit Führungsqualitäten zur Verfügung, und wir lassen sie Urlaubsvertretungen in anderen Teams abdecken, sodass sie nicht ihre eigenen Kollegen anleiten.“
Wie sieht es bei der Rekrutierung von Vorgesetzten von außerhalb aus? Wie kann man damit die Sicherheit im Betrieb verbessern?
- Für solche von extern kommenden Führungskräfte hat Peter einen Rat: Sie sollten sich rasch darüber klar werden, welche Mitarbeiter besonderes Ansehen genießen, und dann eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen. „Denn manche Leute arbeiten sich über viele Jahre hinweg über technische Ränge hoch. Selbst wenn diese Mitarbeiter keinen offiziellen Führungstitel innehaben, sind sie doch einflussreiche Personen am Standort.“
- Larry stimmt Peters Gedanken zu: „Das habe ich getan, als ich jung war. In frühen Jahren tut man sich ja naturgemäß schwer, von Führungskräften oder Manager ernst genommen zu werden. Aber ich konnte ins Werk gehen, dort die Anführer der Peer-Groups ausfindig machen und sie dazu bringen, mich zu informieren.“
Ein Profi-Tipp von Peter, um diese inoffiziellen Anführer in einer Gruppe auszumachen: „Wenn man sie alle in einen Raum bringt und ihnen eine kontroverse Frage stellt, kann man sehen, wem alle die Augen zuwenden.“
Wachsende Kompetenzen schaffen mehr Vertrauen.
- Aus der Managementperspektive ist es wichtig, eng mit neuen Vorgesetzten zusammenzuarbeiten, um zu verstehen, was sie verbessern wollen. „Verbringen Sie Zeit mit ihnen in der Arbeitspraxis, um zu sehen, wie sie ihre Fähigkeiten einsetzen”, empfiehlt Peter.
- Jason ergänzt, es sei sehr wertvoll, sie herauszufordern und aus ihrer Komfortzone herauszulocken. So könnten sie Fähigkeiten in Bereichen entwickeln, die ihnen vielleicht nicht vertraut sind. „Manchmal überraschen sie uns und sich selbst mit ihren versteckten Fähigkeiten.“
Aus all diesen praktischen Erfahrungen unserer Panel-Teilnehmer wird deutlich: Erfolgreiche Unternehmer wissen, wie wichtig die Vorgesetzten an vorderster Front sind. Als Bindeglied zwischen dem Management und der Belegschaft müssen sie den Spagat zwischen den Mitarbeitern und Führungskräften meistern. Allerdings kann man die Effizienz solcher Teamleiter und Aufseher deutlich erhöhen – und zwar durch praktische, individuelle Schulungen sowie mit ausführlichen Einzelgesprächen durch Ausbilder, Berater und andere Manager.
In Sarahs Worten: „Wir brauchen die Vorgesetzten an vorderster Front, damit sie ihre Rolle annehmen, sich zu starken Führungspersonen entwickeln und dadurch auch eine Arbeitssicherheit nach allerhöchsten Maßstäben ermöglichen. Ohne ihre Beteiligung wird nichts von dem, um was wir uns bemühen, wirklich greifen. Zweifellos lohnt es sich also, in diese Gruppe zu investieren.“ „Und zwar durch Eins-zu-eins-Maßnahmen“, ergänzt Larry. „Das ist definitiv die beste Lösung.“