Im ersten Beitrag der 12-teiligen Artikelreihe der Paradigmenwechsel in der Arbeitssicherheit ist eine zentrale Erkenntnis, dass wir zwischen Gefahr und gefährlicher Energie unterscheiden müssen. Gefährliche Energien umgeben uns letztendlich überall und lassen sich per se nicht ausschließen. Insofern überrascht es auch nicht, dass Arbeitsunfälle weiterhin passieren – obwohl die Sicherheitsverantwortlichen alles getan haben und die Arbeitsumgebung aus einer formalen Perspektive bis ins letzte Detail abgesichert ist. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass gerade statistische Zahlen zwar über vieles Aufschluss geben, was in punkto Sicherheitsmanagement verbessert werden kann. Gleichzeitig setzen sie zwangsläufig einen spezifischen Fokus, der womöglich von den tatsächlichen Risikomustern hinter den Arbeitsunfällen ablenkt. Wie kann es sonst sein, dass Verletzungen und Unfälle weiterhin so häufig passieren? Wie und weshalb entstehen eigentlich Arbeitsunfälle, selbst wenn alle Voraussetzungen hinsichtlich Technik und Fertigkeit gewährleistet sind? Bei einem genaueren Blick auf die häufigsten Arbeitsunfälle wird klar, dass ein Umdenken im Bereich der Arbeitssicherheit stattfinden muss.
Wann Arbeitsunfälle am häufigsten vorkommen
Risikobewertung und Unfallstatistiken sind zweifellos unverzichtbar geworden im Alltag der Arbeitssicherheit. Dabei muss berücksichtigt werden, dass jede Arbeitsumgebung und die Menschen in diesem Umfeld unterschiedlich sind. Jeder verhält sich je nach Situation ein wenig anders, was große Unterschiede ausmachen kann. Wie wir zudem bereits im ersten Paradigmenwechsel-Artikel festgestellt haben, liegt eine zusätzliche Krux in einem Einflussfaktor, der sich nur schlecht greifen lässt: Bewegungsenergie. Diese bezieht sich nicht nur auf Maschinen und Fahrzeugen in Bewegung, sondern ganz klar auf den Menschen selbst.
Spezifische Unfallstatistiken spiegeln dies auch wieder. Laut DGUV (Arbeitsunfallgeschehen, Seite 8) fassen die folgenden fünf Kategorien die Tätigkeiten zusammen, in denen die häufigsten Arbeitsunfälle in Deutschland passieren:
- Aus der Bewegung heraus (Fortbewegung zu Fuß)
- Arbeit mit Handwerkszeug
- Manuelle Handhabung von Gegenständen
- Manueller Transport von Gegenständen
- Manuelle Bedienung von Maschinen.
In dieser Aufstellung wird deutlich, dass menschliches Fehlverhalten immer eine tragende Rolle spielt. Die restlichen 15,4 Prozent, die nicht unter diese fünf Kategorien fallen, werden lediglich als „Sonstige“ zusammengefasst.
Gefährliche Energie und wie sie das Entstehen von Arbeitsunfällen begünstigt
Beim Thema Arbeitssicherheit darf es nicht allein um solche Gefahrenquellen gehen, die in sich gefährlich sind, wie etwa offene Flammen oder scharfe Kanten. Situationen, die für den Menschen selbst gefährlich werden, entstehen erst dann, wenn er zusätzliche Energie – aus der eigenen Bewegung heraus – mitbringt. Diese gefährliche Energie entsteht dann auch im Kontakt mit an sich unbeweglichen Objekten, etwa einem Stützpfeiler oder einem Türrahmen. Den entscheidenden Unterschied, der Arbeitsunfälle auslöst, macht dann die Aufmerksamkeit aus – wenn also der Mensch in Bewegung und Unachtsamkeit zusammentreffen.
An dieser Stelle wird die Rolle des Faktor Mensch klar: Risikobewertungen und Sicherheitsmaßnahmen allein können diesen Einfluss nicht eindämmen. Dies zeigt sich spätestens bei der Beschreibung des Unfallhergangs. Die Arbeitsprozesse per se sind in der Regel abgesichert und bei korrekter Durchführung wäre das Gefahrenpotenzial letztendlich erst gar nicht entstanden. Im Rahmen der Unfalldokumentation stellt sich allerdings häufig heraus, dass die Unfallursache sich beispielsweise in der falschen Handhabung findet, oder dass sich Mitarbeiter nicht an Sicherheitsrichtlinien oder Normen hielten. Sie haben also bewusst oder unbewusst etwas anders gemacht, als sie sollten.
Sicheres Verhalten in Echtzeit
Der Schlüssel liegt also im bewussten und sicheren Umgang mit der individuellen Situation. Dabei ist es von essenzieller Bedeutung, mit den Augen und mit dem Kopf bei der Sache zu sein. Dafür ist ein hohes Sicherheitsempfinden notwendig, also ein gestärktes Bewusstsein für sicherheitsrelevante Faktoren.
Dieses kann gezielt geschult werden. Besonders große Bedeutung muss dabei die Selbstwahrnehmung haben. Fragen wie:
- Wie fühle ich mich gerade?
- Was lenkt mich ab?
- Wie kann ich mich besser konzentrieren?
gehen dabei im Idealfall in Fleisch und Blut über. Denn es sind gerade diese vier kritischen Zustände, die allein oder im Zusammenspiel zu Fehlern und damit zu womöglich weitreichenden Konsequenzen führen können: Müdigkeit, Hektik, Frustration und Selbstüberschätzung. Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Verletzungen nehmen in den meisten Fällen genau hier ihren Ursprung.
Fazit: Arbeitsunfälle durch Sicherheitsbewusstsein vermeiden
Kommen wir zum Abschluss zurück zu den Unfallstatistiken, stellen wir selbstverständlich auch fest, dass die Unternehmen enorme Fortschritte hinsichtlich der Arbeitssicherheit gemacht haben. Immerhin verzeichnen tödliche Arbeitsunfälle in Deutschland einen eindeutig rückläufigen Trend, sowohl mit als auch ohne Produktbezug. Dennoch passieren nach wie vor Arbeitsunfälle und -verletzungen, leider selbst arbeitsbedingte Todesfälle. Dies macht deutlich, dass es mit Sicherheitsstandards und -richtlinien allein nicht getan ist. Um einen wirklichen Unterschied zu bewirken, müssen die Sicherheitsmaßnahmen auf das Verhalten des Menschen erweitert werden.
Weitere Informationen dazu, wie dies funktioniert und welche positiven Effekte Sie damit erzielen können, finden Sie unter „Was ist SafeStart?“.
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